Urteil zur Anrechenbarkeit eines vorherigen Praktikums auf die Probezeit in der Berufsausbildung
Mit Urteil vom 19.11.2015 entschied das Bundesarbeitsgericht einen Rechtsstreit zwischen dem während der Probezeit seines Ausbildungsverhältnisses gekündigten Kläger und seiner ehemaligen Arbeitgeberin als Beklagter über die Wirksamkeit der erfolgten Kündigung dahingehend, dass die Probezeit eines vorausgegangenen Praktikums auf die Probezeit im Berufsausbildungsverhältnis nicht anrechenbar sei. Demnach sei das Ausbildungsverhältnis hier wirksam gekündigt worden.
Der Kläger hatte bereits vor Antritt der Berufsausbildung zwecks Überbrückung der Zeit bis zum Ausbildungsbeginn bei der Beklagten ein über dreimonatiges Praktikum absolviert. Für dieses Praktikum war eine Probezeit von zwei Monaten vereinbart. Nach Beendigung des Praktikums nahm der Kläger wie vorgesehen die Ausbildung bei der Beklagten auf. Für die Ausbildung wurde eine Probezeit von drei Monaten vereinbart. Im dritten Monat der Probezeit kündigte die Beklagte das zwischen ihr und dem Kläger bestehende Ausbildungsverhältnis jedoch fristlos.
Ausbildungsverhältnis: Probezeitkündigung und Kündigung nach Probezeit
Ausbildungsverhältnisse können gem. § 22 I Berufsbildungsgesetz (BBiG) während der Probezeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Der Kläger war jedoch der Meinung, dass das vorangegangene Praktikum auf die für das Ausbildungsverhältnis vereinbarte Probezeit angerechnet werden müsse. Nach seinem Vorbringen wäre die Probezeit zum Zeitpunkt der Kündigung also bereits abgelaufen gewesen, die Kündigung hätte nicht mehr nach § 22 I BBiG erfolgen können, sondern nur noch nach § 22 II BBiG. Hiernach kann das Ausbildungsverhältnis nach der Probezeit nur fristlos aus wichtigem Grunde gekündigt werden oder aber vom Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn er die Berufsausbildung aufgibt oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen will. Eine Kündigung ohne wichtigen Grund ist für den Ausbilder also nicht mehr möglich.
In diesem Sinne führte der gekündigte Auszubildende aus, dass das Praktikum im Zusammenhang mit dem bereits zugesagten Ausbildungsbeginn durchgeführt worden wäre und die Beklagte bereits während des Praktikums mit der Vermittlung von Ausbildungsinhalten begonnen habe. So habe die Beklagte sich bereits während des Praktikums ein vollständiges Bild über ihn machen können. Die Vereinbarung einer weiteren Probezeit benachteilige ihn unangemessen, da so eine faktische Probezeit von beinahe acht Monaten vorläge. Dies liefe dem Sinn und Zweck der gesetzlich vorgesehen Probezeit zuwider und sei auch nicht mit den Grundsätzen von Treu und Glauben vereinbar.
Keine Anrechenbarkeit des Praktikums auf Ausbildungsverhältnis
Das Bundesarbeitsgericht verneinte die Anrechenbarkeit des Praktikums mit dem Hinweis darauf, dass das Berufsausbildungsverhältnis gem. § 20 1 BBiG mit der Probezeit beginnt, eine Anrechnung von Zeiten in denen zwischen Ausbilder und Auszubildendem ein anderes Vertragsverhältnis bestand, sei gesetzlich nicht vorgesehen.
Die gesetzlich vorgeschriebene Probezeit erfülle vielmehr die Funktion, sowohl dem Ausbilder, als auch dem Auszubildendem ausreichend Gelegenheit zur Prüfung einzuräumen, ob der Auszubildende für den Beruf geeignet ist, bzw. der Beruf den Vorstellungen des Auszubildenden entspricht. Da die Probezeit mithin auch im Interesse des Auszubildenden gesetzlich vorgesehen sei, wäre die Vereinbarung einer Reduzierung oder eines Entfalls dieser gem. § 25 BBiG nichtig. Nach dieser Norm sind Vereinbarungen zuungunsten des Auszubildenden nichtig.
Ferner sei eine solche Prüfung nur möglich, wenn das Ausbildungsverhältnis mit seinen spezifischen Pflichten bereits besteht. Allenfalls bei einem derart engen sachlichen Zusammenhang zwischen vorangegangenem Vertrags- und Ausbildungsverhältnis, dass es sich sachlich um ein Berufsausbildungsverhältnis handele, ermögliche die Norm eine Anrechnung. Ein solcher Fall liege im zu entscheidenden Fall indes nicht vor.
Während im Berufsausbildungsverhältnis der Auszubildende keine Arbeitsleistung gegen Entgelt schuldet, sondern sich zu bemühen hat die zum Erreichen des Ausbildungsziels erforderliche berufliche Handlungsfähigkeit zu erwerben, ist dies bei einem Praktikum nicht der Fall. Das Praktikum ist von vorübergehender Natur. Der Praktikant soll sich die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen aneignen. Aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzung von Ausbildungsverhältnis und Praktikum sei der hier womöglich bestehende innere Zusammenhang beider Verträge nicht von Bedeutung.
Dasselbe würde auch für den Fall gelten, dass kein Praktikum, sondern ein Arbeitsvertrag dem Ausbildungsvertrag vorangegangen wäre. Bei einem Arbeitsvertrag schuldet der Arbeitnehmer nämlich gem. § 611 BGB die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung gegen Zahlung eines Entgelts. Auch hier sei die vertraglichen Pflichtenbindungen also so unterschiedlich, dass die Probezeit des einen Vertrages nicht auf die Probezeit des anderen Vertrages angerechnet werden könne.
Fazit
Da die in verschiedenen Verträgen jeweils vereinbarten Probezeiten unterschiedliche Zwecke verfolgen, ist eine Anrechnung der gesetzlichen Probezeiten des einen Vertrages auf diejenigen Berufsausbildungsverhältnisses ausgeschlossen.
Quelle: BAG, Urteil vom 19.11.2015 – 6 AZR 844/14