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Urteil des LArbG Baden-Württemberg vom 06.07.2016
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat sich in dieser Entscheidung mit dem Prüfungsumfang bei Änderungen eines Anforderungsprofils langjähriger Beschäftigter und daraus resultierenden Änderungskündigungen befasst.
Kündigung eines langjährigen Chefarztes
Hintergrund der Entscheidung war ein schon länger andauernder Rechtstreit zwischen einem Chefarzt und der Betreiberin zweier Rehabilitationskliniken. Der Kläger ist Facharzt für Diabetologie und war zunächst Chefarzt von beiden Kliniken. Aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten musste die Beklagte eine ihrer Kliniken stilllegen. Infolgedessen sprach die Beklagte zunächst eine ordentliche Kündigung gegenüber dem Kläger aus, dann eine außerordentliche. Beide wurden in anderen Gerichtsverfahren im Ergebnis abgewiesen. In Konsequenz aus diesen Entscheidungen sprach die Beklagte eine Änderungskündigung der Chefarztstelle mit gleichzeitigem Angebot einer Assistenzarztstelle aus. Diese Änderungskündigung liegt dem nun neuerlich entschiedenen Streit zu Grunde.
Basis-Vertrag mit DRV Knappschaft-Bahn-See
Hintergrund der Kündigung war zunächst der Überhang einer Chefarztstelle durch die Stilllegung der zweiten Klinik und die gleichzeitige Einstellung der neuen Chefärztin Dr. K. Anders als der Kläger, ist Dr. K Fachärztin für Gastroenterologie. Dies ist beachtlich, da zu der Stilllegung noch ein weiterer Faktor hinzukommt. Um die wirtschaftliche Fortführung der zweiten Klinik sichern zu können, trat die Beklagte in Verhandlungen mit der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bezüglich eines Basisvertrags, damit die Knappschaft-Bahn-See die Federführung innerhalb der DRV übernehmen könne.
Im Rahmen dieser Verhandlungen stellte die DRV Knappschaft-Bahn-See verschiedene Anforderungen an die führenden Positionen in den Kliniken. Darunter fiel aus Sicht der Beklagten auch die Qualifikation des Oberarztes, sowie des Chefarztes als Facharzt für Gastroenterologie. Die daraufhin eingestellte Dr. K erfüllte diese Anforderungen, der Kläger nicht. Aus Sicht des Klägers war aber eine Qualifikation als Gastroenterologe lediglich für den Oberarzt erforderlich, nicht aber für den Chefarzt. Daher hätte die Änderungskündigung im Rahmen der sozialen Auswahl gegenüber Dr. K erfolgen müssen.
AG weist Klage zunächst ab
Erstinstanzlich hat das Arbeitsgericht die Klage zunächst als unbegründet abgewiesen. Es habe sich um eine organisatorische Entscheidung der Beklagten gehandelt. Aufgrund der unternehmerischen Freiheit sei diese grundsätzlich zu akzeptieren und könne nur auf Willkürlichkeit überprüft werden. Hierbei sei zu beachten, dass in Form der Anforderungen der DRV nachvollziehbare arbeitsplatzbezogene Kriterien vorgelegen hätten, eine Willkürentscheidung somit nicht zu vermuten sei. Zudem seien der Kläger und die neue Chefärztin Dr. K aufgrund ihrer unterschiedlichen Qualifikationen sozial nicht vergleichbar. Eine sozial ungerechtfertigte Kündigung komme also nicht in Betracht. Der Kläger ging gegen diese Entscheidung in Berufung.
Kündigung sozial ungerechtfertigt
Das LArbG Baden-Württemberg gab der Berufung statt und führte aus, dass Änderungskündigungen im Sinne des § 2 I Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nur dann sozial gerechtfertigt seien, wenn die Voraussetzungen des § 1 II KSchG vorlägen. Dabei handelt es sich um dringliche betriebliche Erfordernisse. Diese lägen grundsätzlich mit dem Überhang einer Chefarztstelle vor, jedoch sei zu beachten, dass wenn eine Organisationsentscheidung, wie die Verschärfung eines Anforderungsprofils, und ein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind (so wie im vorliegenden Fall), konkrete Angaben zu Einsatzmöglichkeiten notwendig seien. Dies gelte ganz besonders, wenn die Änderungen langjährige Beschäftigte betreffen würden. Fehlten die konkreten Angaben oder seien diese fehlerhaft, läge eine unzulässige Austauschkündigung vor.
Basierend auf diesen Überlegungen sei also genau darauf zu achten, welche Anforderungen die DRV gestellt habe. Darüber waren sich die Streitparteien uneinig. Es sei aber davon auszugehen, dass die DRV für die Stelle des Chefarztes sowohl Diabetologen als auch Gastroenterologen akzeptiere. Ein möglicher Irrtum der Beklagten über die Anforderungen der DRV könne zumindest nicht zu Lasten des Klägers gehen. Aufgrund seiner langjährigen Beschäftigung war der Kläger auch sozial schutzwürdiger als Dr. K, die Änderungskündigung hätte daher letztere treffen müssen.
Quelle: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 06.07.2016 – 4 Sa 67/15