Aktuelles Urteil vom Arbeitsgericht Hamburg
Mit Urteil vom 10.07.2015 entschied das Arbeitsgericht Hamburg über die Kündigungsschutzklage einer Krankenschwester: Die außerordentliche Kündigung einer ordentlich unkündbaren Angestellten wegen des Entwendens von acht halben Brötchens aus dem Aufenthaltsraums für externe Mitarbeiter sei unwirksam.
Angewendeter Tarifvertrag
Die Klägerin war seit dem 01.04.1991 als Krankenschwester bei der Beklagten, einer Krankenhausbetreiberin, beschäftigt gewesen. Auf dieses Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den Krankenhausarbeitgeberverband Hamburg e.V. (TV-KAH) Anwendung, die Klägerin war nach § 34 II TV-KAH ordentlich unkündbar.
Am 28.01.2015 hatte sie sich während der Frühschicht in den für externe Mitarbeiter der Beklagten bestimmten Aufenthaltsraum begeben und von dort acht Brötchenhälften in den für eigene Mitarbeiter bestimmten Pausenraum mitgenommen, wo sie diese zum allgemeinen Verzehr bereitgestellt hatte. Sie selbst aß während ihrer Schicht eine Hälfte. Die verbleibenden Hälften wurden indes von anderen Mitarbeitern des Krankenhauses gegessen.
Die Brötchen waren durch das Krankenhaus zur Verfügung gestellt worden, jedoch den externen Mitarbeitern vorbehalten gewesen.
In der darauf erfolgten Anhörung der Beklagten hatte diese zugegeben, die Brötchen dem Aufenthaltsraum für externe Mitarbeiter entnommen zu haben. Zwar habe sie gewusst, dass sie dies nicht gedurft habe, jedoch sei ihr eigenes Essen gestohlen worden. Daraufhin erfolgte die außerordentliche Kündigung durch die Beklagte, welche hilfsweise mit sozialer Auslauffrist kündigte.
Hintergrund: Ein Arbeitsverhältnis kann gem. § 626 I BGB aus wichtigem Grunde auch außerordentlich, also ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und einer umfassenden Interessenabwägung eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden könne.
Urteilsbegründung des Gerichts
Nach Überzeugung des Gerichts habe die Klägerin hier in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Sie habe sich ohne gesonderte Genehmigung nicht an den Brötchen bedienen dürfen. Grundsätzlich könne dies Grund genug für eine außerordentliche Kündigung sein. Auf den materiellen Wert der Brötchen komme es dabei grundsätzlich nicht an.
Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit seien in einem zweiten Schritt, vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, jedoch stets das Interesse des Arbeitgebers an einer sofortigen Beendigung und das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegeneinander abzuwägen Als Kriterien seien dabei das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr, sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Ablauf heranzuziehen. Überwiege das Interesse des Arbeitnehmers, falle die Interessenabwägung auch zugunsten des Arbeitnehmers aus und eine dennoch erfolgende außerordentliche Kündigung sei unwirksam.
Zugunsten der Klägerin wertete das Gericht zunächst, dass diese die Brötchen nicht heimlich entnommen habe. Ferner habe sie dies nur zu einem geringen Anteil aus eigennützigen Motiven getan, da sie den Großteil der Brötchen ihren Kollegen zur Verfügung gestellt habe. Sie habe auch nicht versucht, das Geschehen zu leugnen. Bis auf diesen Vorfall sei das Arbeitsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter über 23 Jahre reibungslos verlaufen. Das Gericht war in diesem Fall der Meinung, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Klägerin und Beklagter nicht schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiderbringlich zerstört worden sei. Ferner müsse einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich eine Abmahnung vorausgehen.
Hintergrund: Eine verhaltensbedingte Kündigung dient der Vermeidung erneuter Pflichtverletzungen. Um aber überhaupt prognostizieren zu können, ob es erneut zu einer solchen kommen wird, ist zunächst eine Abmahnung erforderlich. Durch diese kann der Arbeitgeber grundsätzlich überhaupt erst einschätzen, ob der Arbeitnehmer sein Verhalten ändert. Nur bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen ist eine Abmahnung entbehrlich.
Eine Abmahnung war hier nicht erfolgt. Da die Klägerin jedoch Reue gezeigt hatte, sei davon auszugehen, dass sie ein Verhalten wie das hier geschilderte, welches die außerordentliche Kündigung auslöste, nicht wiederholen werde. Im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre eine Abmahnung der außerordentlichen Kündigung als milderes Mittel vorzuziehen gewesen. Der Beklagten sei eine weitere Zusammenarbeit mit der Klägerin zumutbar. Aus diesen Gründen sei letztlich die außerordentliche Kündigung unwirksam gewesen.
Fazit
Die Unwirksamkeit der hier ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung folgt nicht per se aus dem geringen Wert der entwendeten Brötchen. Vielmehr kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Das Urteil stärkt aber – wie so viele andere Urteile bei Bagatelldiebstählen – die Rechte der Arbeitnehmer und verlangt vom Arbeitgeber ein gesundes Augenmaß und insbesondere die Beachtung des Ultima-Ratio-Prinzips. Es ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen.
Andererseits ist auch mal wieder klargestellt, dass grundsätzlich jeder Diebstahl – auch der von geringwertigen Sachen – eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen vermag.
Quelle: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil v. 10.07.2015, 27 Ca 87/15