Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte hier einen Rechtsstreit über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dahingehend entschieden, dass der Arbeitgeber seine Krankheitsursache auch nach über sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit nicht darlegen muss.
Damit wich das Landesarbeitsgericht deutlich von der Rechtsprechungspraxis des Bundesarbeitsgerichts ab.
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Grundsätzlich steht einem erkrankten Arbeitnehmer gem. § 3 I 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) für die Dauer von bis zu sechs Wochen die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu, wenn er infolge der Krankheit arbeitsunfähig ist. Hierfür trägt der Arbeitnehmer zwar die Beweislast, genügt dieser jedoch bereits durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Über diesen sechswöchigen Zeitraum hinaus, besteht für weitere sechs Wochen die Möglichkeit, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu erhalten. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate lang nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war, oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit zwölf Monate abgelaufen sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor und handelt es sich bei einem Krankheitszeitraum von über sechs Wochen um keine Neuerkrankung, sondern um eine Fortsetzungserkrankung, besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch nicht, der Arbeitnehmer hat vielmehr Anspruch auf Krankengeld bei der Krankenkasse.
Um eine Fortsetzungserkrankung handelt es sich ferner, wenn der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit wiederholt arbeitsunfähig ist und die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte, in der Zeit zwischen dem Ende der vorausgegangenen und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Grundleiden latent weiterbestanden hat.
BAG: Darlegungslast einer Neuerkrankung und keiner Forstsetzungserkrankung obliegt Arbeitnehmer, nur objektive Beweislast bei Arbeitgeber
Das BAG urteilte in seinem Urteil vom 13.07.2005 noch, dass ein Arbeitnehmer ggf. bei Bestreiten einer Neuerkrankung durch den Arbeitgeber seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden muss. Hiernach gelte folgendes: Der Arbeitnehmer hat die anspruchsbegründenden Tatsachen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs darzulegen und ggf. zu beweisen. Ist er innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, muss er darlegen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt. Wird dies vom Arbeitgeber bestritten, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Der Arbeitnehmer hat dabei den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung hat der Arbeitgeber zu tragen.
Abweichendes Urteil LarbG Baden-Würrtemberg
Geklagt hatte hier eine 46 Jahre alte Arbeitnehmerin, die als Gruppenleiterin beschäftigt war. Zwischen dem 22.09.2014 und dem 03.03.2015 war sie insgesamt 65 Tage krankgeschrieben. In diesem Zeitraum hatte sie ihrem Arbeitgeber insgesamt 14 Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen vorgelegt, von denen die meisten Erstbescheide, also Bescheide über eine neue Krankheitsdiagnose, waren. Für diesen Zeitraum hatte sie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhalten. Als sie vom 19.03.2015 bis zum 17.04.2015 jedoch erneut erkrankte, nachgewiesen durch eine Arbeitsunfähigkeits-Erstbescheinigung und eine zweite Folgebescheinigung, leistete die Arbeitgeberin keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mehr, da sie davon ausging, dass es sich um eine Fortsetzungserkrankung handelte. Auf eben jene Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hatte die Klägerin hier jedoch geklagt.
Das Landesarbeitsgericht wich hier von der oben dargestellten Rechtsprechungspraxis des Bundesarbeitsgerichts ab. Dies begründete es mit einem Wertungswiderspruch zu Fallgestaltungen, in denen ein und derselbe Anspruch nicht vom Arbeitnehmer selbst, sondern von der Krankenkasse eingeklagt wird. Hintergrund einer solchen Konstellation ist stets der, dass der Arbeitnehmer gem. § 44 I SGB V zunächst von der Krankenkasse selbst Krankengeld erhält, sollte der Arbeitgeber die Zahlung verweigern. Daraufhin kann die Krankenkasse – dann aus übergegangenem Recht – den Anspruch auf Entgeltfortzahlung, der ursprünglich dem Arbeitnehmer zustand, gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen.
Im Unterschied zu einem Arbeitnehmer, der zur Preisgabe seiner Krankheitsursache verpflichtet ist, darf die Krankenkasse dieser Darstellungslast jedoch gem. § 69 IV SGB V aus Gründen des Sozialschutzes nicht nachkommen, darf die Krankheitsursache des Arbeitnehmers also nicht nennen. Da dieser gesetzliche Hintergrund dem Arbeitgeber aber nicht zu einem prozessualen Vorteil verhelfen dürfe, genügt es hier, dass die Krankenkasse eine allgemeine Wertung vorträgt. Die dieser zugrunde gelegten Tatsachen, nämlich die Krankheitsdiagnose(n) des Arbeitnehmers müssen nicht offengelegt werden. Auf diese allgemeine Wertung muss der Arbeitgeber sich verlassen.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts wäre es daher nicht sachgerecht, wenn der Arbeitgeber durch schlichtes Bestreiten der durch die Krankenkasse erfolgten Mitteilung, es liege keine Folgeerkrankung vor, dazu veranlasst werden könnte, seine Diagnose zu offenbaren. Es sei daher angebracht, die Vortragslast des Arbeitnehmers auch an den Wertungen des Sozialdatenschutzes zu orientieren.
Demnach könne der Arbeitnehmer Diagnosedaten solange zurückhalten, bis der Arbeitgeber mittels Tatsachen begründet, dass Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der Mitteilung der Krankenkasse besteht.
Im hier streitigen Fall hatte die Krankenkasse dem Arbeitgeber jedoch mitgeteilt, dass anrechnungsfähige Vorerkrankungen nicht vorliegen. Tatsachen, die Zweifel an der Richtigkeit dieser Bewertung hätten begründen können, lagen nicht vor. Folglich hatte die Klägerin in der Sache Erfolg: Ihr Entgeltfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall bestand auch für die Zeit vom 19.03.2015 bis zum 17.04.2015
Quelle: LArbG Baden-Württemberg, Urteil v. 08.06.2016, 4 Sa 70/15